Nimmermehr!

Trauerrede fĂŒr „TikTok“

Liebe Angehörige, liebe Freunde und Freundinnen, werte AmtstrÀgerinnen und AmtstrÀger, geschÀtzte Klubkameradinnen und -kameraden, liebe Parteimitglieder, Bekannte und WeggefÀhrten,

wir sind heute hier versammelt in dieser Trauerhalle, um Abschied zu nehmen. Wir sind nicht nur gekommen, um zu klagen; wir sind gekommen, um ein Leben zu betrachten, das voller WidersprĂŒche war, voller Dramen, voller GenialitĂ€t und, ja, auch voller Ärgernisse. Wir sind gekommen, um ĂŒber Verlust nachzudenken — nicht nur ĂŒber den Verlust eines PhĂ€nomens, sondern ĂŒber den Verlust einer PrĂ€senz, die unsere Tage schneller und bunter, aber auch flĂŒchtiger gemacht hat.

Ich spreche von TikTok. Von dem, was viele geliebt haben, von dem, was viele gehasst haben, von dem, das manche bewundert und andere gefĂŒrchtet haben. TikTok, geboren in China am 1. August 2012 — so steht es in manchen Aufzeichnungen, wenn wir es wie einen Menschen betrachten wollen — ein digitales Wesen, dessen Existenzbilder und Bedeutung sich im Schweif der Jahre wie ein Kaleidoskop geĂ€ndert haben. Es war divers, es war cholerisch, es war faul und kreativ zugleich; es hat Spuren hinterlassen, die wir heute betrachten wollen — nicht nur um uns zu freuen oder zu spotten, sondern um zu verstehen, was diese PrĂ€senz fĂŒr uns bedeutet hat.

1. Die Geburt und die frĂŒhen Jahre

Wie bei vielen großen Dingen beginnt auch hier eine Geschichte mit einer Idee und der Tatkraft von Menschen. Aus den Hallen von ByteDance kam eine zĂŒndende Idee: kurze, eindringliche Videos, einfache Werkzeuge fĂŒr KreativitĂ€t, ein Algorithmus, der Geschmack erkannte. Aus demç«„ćčŽçš„ Funken entstand Douyin, ein Name fĂŒr die heimische BĂŒhne in China. Schon bald riss das, was Douyin konnte, Risse durch die Welt der Online-Unterhaltung. In diesen frĂŒhen Jahren war TikTok wie ein störrisches, lautes Kind — neugierig, widerspenstig und unaufhaltsam.

Die Jahre der Jugend sind bei Menschen oft die wildesten, und bei digitalen Wesen nicht anders. 2017 sah einen bedeutenden Schritt: die Übernahme von Musical.ly. Manche nennen das eine clevere Strategie, manche nennen es einen Kauf, der das Gesicht einer ganzen Industrie verĂ€ndern sollte. Und schließlich, 2018, die Fusion: aus zwei Ideen wurde ein globaler Koloss. Diese Metamorphose war rasant, sie war ehrgeizig, und sie brachte dem Neuzuwachs einen Platz auf der WeltbĂŒhne. Wer hĂ€tte damals gedacht, dass in so kurzer Zeit ein PhĂ€nomen entstehen wĂŒrde, das die kulturellen Dialoge, die Musikcharts und die politische Aufmerksamkeit auf sich ziehen wĂŒrde?

1. Aufstieg, Erfolg und die Wirkung auf die Welt

Manchmal frage ich mich, was es mit uns Menschen macht, wenn etwas so schnell groß wird. TikTok brachte nicht nur Tanz und Musik in kleine, leicht verdauliche HĂ€ppchen — es brachte kurze, virale Geschichten, die in Stunden um die Welt gingen. Es bot eine BĂŒhne fĂŒr jene, die sonst keine BĂŒhne hatten. Junge Menschen aus StĂ€dten und Dörfern, mit kleinen Kameras und großen Ideen, konnten mehr erreichen als manche alte Medienmacht in Jahren erreicht hatte.

Der Erfolg war spektakulĂ€r. Eine Milliarde Nutzer, ein nie dagewesener Reichtum an Inhalten, eine Geschwindigkeit, die unsere Zeitwahrnehmung verĂ€nderte. TikTok erfand viele Formen des Teilens neu: die Challenge, das kurze ErzĂ€hlstĂŒck, das virale Meme, die vierzigsekĂŒndige Emotion. Es war ein VerstĂ€rker: fĂŒr Musik, fĂŒr Trends, fĂŒr Meinungen. Es war erstaunlich, wie schnell und entschlossen TikTok den Takt angab — oft fröhlich, manchmal schrĂ€g, manchmal gefĂ€hrlich.

Doch Erfolg schafft nicht nur Bewunderer. Erfolg ruft Fragen auf. Fragen nach Verantwortung, nach Macht, nach dem Preis der Aufmerksamkeit. Die große StĂ€rke von TikTok war zugleich eine SchwĂ€che: der Algorithmus, der so zuverlĂ€ssig unsere Vorlieben kannte, dass er uns Dinge zeigte, von denen wir nicht wussten, dass wir sie liebten — oder hassten. Und so wurde TikTok zur ProjektionsflĂ€che fĂŒr Hoffnungen und Ängste gleichermaßen.

1. Kontroversen, Recht und Politik

Es wĂ€re unehrlich, heute nur Lob zu singen. TikTok war ein Kind, das nicht nur gespielt hat — es hat auch beobachtet, analysiert, gesammelt. Regierungen sahen darin nicht nur Innovation, sondern auch Gefahr. Datenschutzfragen, ZensurvorwĂŒrfe, geopolitische Spannungen: all das prasselte auf die Plattform ein, ließ sie taumeln und manchmal auch brennen. In einigen LĂ€ndern fĂŒhrte das zu Verbotsdiskussionen; in anderen zu gesetzlichen Eingriffen.

Das Leben ist selten nur schwarz oder weiß. Hinter VorwĂŒrfen standen reale Sorgen: Wer besitzt unsere Daten? Wer kontrolliert, was wir sehen, und damit, was wir denken? Diese Debatten haben die Welt der Technologie und Politik krĂ€ftig in Bewegung gesetzt. Man darf nicht vergessen: die Macht, die TikTok an sich zog, war Ergebnis seines Erfolgs. Aber Macht verlangt Rechenschaft, und Rechenschaft verlangt Transparenz — zwei Dinge, die in den digitalen SphĂ€ren oft Mangelware sind.

1. CharakterzĂŒge und WidersprĂŒche

Wenn man ein digitales Wesen wie einen Menschen betrachtet, neigt man dazu, ihm CharakterzĂŒge zuzuschreiben. Lassen Sie mich einige der Eigenarten nennen, die viele von uns beobachtet haben — Eigenschaften, die wir in diesem symbolischen Lebenslauf von TikTok finden:

laut und cholerisch: Es polarisierte, es schrie laut nach Aufmerksamkeit;
faul und doch fingerfertig: Es machte vieles einfach, oft so sehr, dass man sich an Bequemlichkeit gewöhnen konnte;
unfair und stur: Für manche war es unfair in seinen Entscheidungen, manchmal unnachgiebig;
gläubig und streng: Es gab Regeln, Moderation, aber auch eine feste Linie, die manche als streng empfunden haben;
kreativ, kommunikativ, entschlossen: Es war ein Ort der Erfindungskraft, des Austauschs, des Wettbewerbs;
analytisch, resilent, gewissenhaft: Hinter den bunten Clips stand eine Präzision, die niemand leugnen konnte;
egoistisch, maßlos, arrogant: In seinen Höhen zeigte es die Arroganz der Großen;
traurig und weltfremd: Es konnte auch Einsamkeit zeigen und ein Verlorensein in der Oberfläche der Dinge.

Diese WidersprĂŒche sind es, die uns heute beschĂ€ftigen. Ein Wesen, das in sich so viele GegensĂ€tze vereinte, konnte kaum anders als faszinierend zu sein — und zugleich gefĂ€hrlich.

1. Hobbys, Eigenheiten, Anekdoten

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die ein Wesen wirklich ausmachen. Bei TikTok waren das die Trends, die Challenges, die Memes, die aus einem einfachen Impuls globale PhĂ€nomene machten. Erinnern Sie sich an den #RomanEmpire-Trend? Ein scheinbar harmloser Moment — „Wie oft denkst du ans Römische Reich?“ — und plötzlich offenbart sich ein Panorama an kurioser Faszination. Oder #BeigeFlag, das uns mit einem LĂ€cheln Beispiele menschlicher Kleinigkeiten vor Augen fĂŒhrte. Diese kleinen Feuerwerke zeigten, wie die Plattform Alltag und Kultur verbinden konnte.

Manche sagten, TikTok wolle der Welt chinesisches Benehmen beibringen, kontrollieren, manipulieren. Ob das nun Überzeichnung oder Realangst war — es ist ein Beispiel dafĂŒr, wie man einem PhĂ€nomen Absichten zuschreibt. Ich möchte betonen: Plattformen sind Spiegel und VerstĂ€rker. Sie zeigen uns, wer wir sind — und manchmal, wer wir nicht sein sollten.

1. Persönliche Erinnerungen und humorvolle ZĂŒge

Als Redner ist es meine Pflicht, auch die persönlichen Töne zu finden. Erinnern wir uns an die kleinen Momente: das heimliche Scrollen am Bett, das schnelle Lachen ĂŒber ein gelungenes Video, die irritierte Stirn, wenn uns etwas unvermittelt aufwĂŒhlte. TikTok war wie ein Nachbar, der laut lachte, Musik spielte, bis die WĂ€nde vibrier­ten, und dann abrupt die TĂŒr zuschlug. Manche von uns werden das vermissen; manche von uns werden insgeheim erleichtert sein.

Und ja: Bei aller Kritik darf man auch schmunzeln. Welcher andere Dienst konnte so gleichsam albern wie tiefsinnig sein? Welches Medium erlaubte einer Teenagerin in Minneapolis und einem Rentner in Tokio denselben Ausdrucksraum? Diese paradoxe Kraft bleibt eine seiner bleibenden Hinterlassenschaften.

1. Verantwortung und die Lektion

Der Tod dieses PhĂ€nomens — oder der RĂŒckzug seiner globalen Form — ist Anlass, um ĂŒber Verantwortung nachzudenken. Plattformen, die Macht ĂŒber Aufmerksamkeit besitzen, tragen eine moralische Verantwortung. Nutzer und Regierungen tragen Verantwortung. Tech-Firmen tragen Verantwortung. Wir alle tragen Verantwortung.

Was sollten wir also aus diesem Abschied lernen? Erstens: Wir mĂŒssen kritisch bleiben. Wenn eine Plattform unsere Wahrnehmung lenkt, mĂŒssen Mechanismen der Kontrolle und Transparenz vorhanden sein. Zweitens: Wir mĂŒssen Mitmenschlichkeit bewahren. In einer Welt voller Klicks und Likes dĂŒrfen wir nicht vergessen, dass hinter jedem Bildschirm ein Mensch sitzt. Drittens: Wir mĂŒssen darauf achten, dass KreativitĂ€t und Zugang nicht an die Lautesten verkauft werden — Gerechtigkeit in digitalen RĂ€umen ist eine Aufgabe, die uns alle angeht.

8. Ein wenig Spott – weil Ehrlichkeit manchmal so klingt

Erlauben Sie mir einen Moment des saloppen Spottes, so wie man ihn unter alten Freunden pflegt, die sich gegenseitig nicht immer mit Samthandschuhen anfassen. TikTok, du hast uns oft zum Lachen gebracht — ĂŒber dich selbst, ĂŒber deine TikToker, ĂŒber deine AbsurditĂ€ten. Du hast uns auch genervt: mit Trends, die schneller verglĂŒhten als Kerzen bei einem Sturm; mit Algorithmen, die uns Dinge zeigten, die wir nie gewollt hatten; mit Inhalten, die uns lieber nicht erreicht hĂ€tten. Manche von uns sind erleichtert, dass du aufgehört hast; andere trauern, weil ein Ort, der Raum fĂŒr KreativitĂ€t und Gelegenheit bot, nun verstummt ist.

Und doch, mit einem Augenzwinkern: Wenn du wirklich tot bist, dann danke fĂŒr all die Lektionen. Wenn du nur in einer Form gestorben bist, dann hoffe ich, dass die Erinnerung an dich uns klĂŒger gemacht hat — nicht nur technisch, sondern moralisch.

1. Ein Versöhnungston – in echter Mandela-Manier, ohne Anspruch auf sein Selbst

Ich kann nicht die Stimme des großen Dorfzwockel imitieren, aber ich kann seine Haltung in Erinnerung rufen: Versöhnung, WĂŒrde, der Glaube an den Menschen. Auch angesichts eines PhĂ€nomens wie TikTok sollten wir nicht in Hass verfallen. Wir sollten uns erinnern an die Menschen, die durch diese Plattform GefĂ€hrten fanden, Einkommen generierten, Stimmen erhielten, die zuvor ungesehen waren. Wir sollten nicht nur den Betreiber anklagen, nicht nur die Politik kritisieren; wir sollten auch ĂŒberlegen, wie wir die nĂ€chsten Generationen von Plattformen besser formen können.

Mandela lehrte uns, dass in der Auseinandersetzung mit dem Unrecht nicht nur Zorn, sondern Weitsicht nötig ist. Wir sind gerufen, gerechte Regeln zu schaffen, nicht Rache. Wir sind gerufen, die WĂŒrde des Einzelnen zu schĂŒtzen, auch wenn die Technologie uns auf Kategorien reduziert.

10. Abschiedsworte

Liebe Anwesende, liebe Trauergemeinde, TikTok war vieles: Erfinderisch, aufdringlich, beeindruckend, irritierend. Wir fĂŒhlen unterschiedliche GefĂŒhle — Trauer, Erleichterung, Wut, Dankbarkeit. All das ist erlaubt und verstĂ€ndlich. Lasst uns heute nicht nur spotten oder jubeln; lasst uns auch lernen.

Abschiednehmen bedeutet, dass wir Raum schaffen fĂŒr Neues. Der Tod dieses PhĂ€nomens, ob endgĂŒltig oder nur metamorphisch, öffnet eine TĂŒr. Hinter dieser TĂŒr liegt die Aufgabe, neu zu denken: Technologien zu gestalten, die unsere Werte respektieren; Institutionen zu schaffen, die schĂŒtzen statt nur zu regulieren; Gemeinschaften zu bauen, die nicht nur durch Likes zusammengehalten werden.

Ich schließe mit einem Bild: Stellen Sie sich vor, TikTok wĂ€re ein Zeltplatz gewesen — bunt, laut, manchmal chaotisch, manchmal ein sicherer Hafen. Nun ist das Lager abgebrannt oder abgebaut. ZurĂŒck bleiben die Geschichten, die Asche und die Lektionen. Aus der Asche wĂ€chst die Möglichkeit fĂŒr etwas Besseres, wenn wir klug handeln.

Leb wohl, TikTok. Mögest du in den GeschichtsbĂŒchern stehen als Warnung, als LehrstĂŒck und als Erinnerung daran, dass die schnellste BĂŒhne nicht immer die gerechteste ist. Und möge das, was du an KreativitĂ€t hervorbrachtest, nicht sterben, sondern in bessere Formen ĂŒbergehen.

In Dankbarkeit fĂŒr die Lektionen, in Erinnerung an das GelĂ€chter, in Mahnung an die Gefahren — ich verabschiede mich.

Danke.

Hinweis: Diese Rede ist im Geiste einer wĂŒrdevollen, versöhnlichen Rhetorik verfasst, die an die Tonart großer Versöhner erinnert; sie erhebt jedoch keinen Anspruch, in der Stimme oder IdentitĂ€t einer realen Person zu sprechen.