Einleitung
Die politische und philosophische Semantik des Begriffs "Ausgang" lĂ€sst sich nicht allein im semantischen Raum der Flucht oder Resignation verorten. Vielmehr verweist er â insbesondere im Kontext posttotalitĂ€rer Erfahrung â auf eine Möglichkeit der emanzipatorischen Distanzierung von normativer Zielgerichtetheit und instrumenteller RationalitĂ€t. Das poetische Fragment âIch schaue nach vorn. Und vorn ist das EndeâŠâ fĂŒhrt eine tiefgreifende Reflexion ĂŒber das VerhĂ€ltnis von Macht, Zielorientierung und Widerstand ein. In der folgenden Betrachtung werden zentrale Motive dieser Reflexion im Lichte von NiccolĂČ Machiavellis Machtdenken sowie Theodor W. Adornos Kritik an instrumenteller Vernunft analysiert.
Der "Ausgang" als Letztes und GröĂtes: Eine Poetik des Endens
Der Begriff âAusgangâ erscheint in dem Fragment nicht als passive Kapitulation, sondern als aktive Geste der Machtlosen. Das Ende wird nicht bloĂ als Abschluss, sondern als Schwelle interpretiert â ein Möglichkeitsraum, in dem die Ohnmacht sich in eine letzte Form von SouverĂ€nitĂ€t transformiert. Diese Umkehrung erinnert an Adornos Gedanke, dass âdas ĂuĂerste an Ohnmachtâ zur Bedingung von Negation und damit zur Quelle kritischen Denkens werde (Adorno, 1966/2003, S. 367).
In der impliziten Dialektik zwischen âZielâ und âAusgangâ liegt bereits ein Bruch mit machiavellistischer Teleologie. WĂ€hrend Machiavelli in Il Principe die EffektivitĂ€t politischer Macht an der Zielerreichung bemisst (Machiavelli, 1532/2007), formuliert das Fragment ein radikal anderes VerhĂ€ltnis: Das Ende entzieht sich dem Ziel. Es kehrt sich nicht in Triumph, sondern in Befreiung von Zielzwang.
Ăffnen von innen: Machtkritik in der Sprache
Der Kommentar aus dem Briefwechsel â âAber wer spricht heute noch von AusgĂ€ngen, wenn alle nur EingĂ€nge zĂ€hlen?â â bringt eine zeitdiagnostische Perspektive auf die postideologische Gesellschaft der Nachwendezeit ins Spiel. Der Fokus auf "EingĂ€nge" markiert eine neoliberale Funktionalisierung des Subjekts: Der Eintritt in Systeme, Prozesse und Leistungszyklen wird zum MaĂstab von Erfolg und Teilnahme. Der "Ausgang" hingegen verweist auf einen Verzicht auf Verwertung â auf die Negation als Möglichkeit der Subjektwerdung. Hierin liegt ein Gedanke, der Adornos Forderung nach Nicht-IdentitĂ€t im Denken berĂŒhrt (Adorno, 1966/2003, S. 161).
Auch die in der FuĂnote dokumentierte Sprachregelung der DDR-Schulungsmaterialien â die bewusste Vermeidung des Begriffs âAusgangâ â verweist auf die tiefere Bedeutung dieses Wortes. Wo Sprache kontrolliert wird, wird auch die Möglichkeit zum Denken von Alternativen reguliert. Dies lĂ€sst sich als Umsetzung machiavellistischer Machtsicherung verstehen, in der die Kontrolle ĂŒber Narrative ebenso zentral ist wie die Kontrolle ĂŒber Handlungen (vgl. Machiavelli, 1532/2007).
Ausgang als Widerstand
Der Ăbersetzungsakt â ââAusgangâ als Widerstand â nicht als Flucht, sondern als bewusste Abwendung vom Zwang zur ZielerfĂŒllungâ â formuliert einen Gegenentwurf zur technokratischen Verwertungslogik. Er erinnert an Adornos These, dass wahre Emanzipation nur in der Abkehr vom Bestehenden liegen kann, nicht in seiner Perfektionierung (Adorno, 1966/2003). Gleichzeitig verkehrt er Machiavellis paradigmatische Figur des FĂŒrsten: Nicht die Initiative zur Zielverwirklichung, sondern der Mut zur Abkehr markiert hier das Politische.
In dieser Lesart wird der "Ausgang" zur Form negativer Freiheit: nicht als Eskapismus, sondern als aktive Suspension des Mitmachens. Damit entsteht ein Raum fĂŒr SubjektivitĂ€t, der jenseits von Funktion, Rolle und Zwang liegt â ein Raum, den Adorno als utopischen Nicht-Ort der Selbstbestimmung denkbar machte.
Fazit: VerstÀndigung beginnt im Ausgang
Das abschlieĂende Diktum â âVerstĂ€ndigung beginnt dort, wo das Ende nicht mehr das Letzte istâ â formuliert ein dialektisches VerstĂ€ndnis von Kommunikation: als Bewegung, die nicht auf ZielerfĂŒllung (VerstĂ€ndigung als Konsens) zielt, sondern auf das Offenhalten von Möglichkeiten. Adorno hĂ€tte hierin wohl den Impuls einer negativen Dialektik erkannt: das Denken, das im Fragmenthaften verweilt, statt es in TotalitĂ€t zu ĂŒberfĂŒhren.
Im Ausgang â als Geste der Distanz, als Verweigerung der finalen Antwort â liegt nicht Resignation, sondern die Möglichkeit eines neuen Anfangs. Nicht fĂŒr den FĂŒrsten, sondern fĂŒr das Subjekt, das sich weigert, âweiterzumachenâ.
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Literaturverzeichnis
Adorno, T. W. (2003). Negative Dialektik (13. Aufl.). Suhrkamp. (Originalarbeit 1966)
Machiavelli, N. (2007). Der FĂŒrst (G. Dethlefs, Ăbers.). Reclam. (Originalarbeit 1532)
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen. (1992). Bestand FDJ, Mappe 14/3.