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Infologische RĂŒckkopplung – Dossier & Fallarchiv

🧭 Einleitung: Vom Mythos zur Struktur

Das Internet ist keine technische Errungenschaft,
sondern eine epistemische Bewegung.
Es zeigt, wie sich menschliches Wissen selbst vernetzt,
bis es sich im eigenen Spiegel verliert.

Dieses Dossier beschreibt das Prinzip Internet
als Durchgangsform zwischen Information, Wissen, Glaube und Meinung –
im Rahmen des Infologievektors,
dem zentralen Werkzeug der Infologie.

Jeder Abschnitt markiert eine Verschiebung der Erkenntnis:
vom Befehl zum Dialog, vom Glauben zur Reibung,
vom Algorithmus zurĂŒck zum Bewusstsein.


I. Ursprung – MilitĂ€rische Information

Das Internet begann nicht mit einem Traum von Freiheit,
sondern mit einem Befehl zur Störresistenz.

1958 grĂŒndete das US-Verteidigungsministerium die Advanced Research Projects Agency (ARPA).
Ziel: Überleben durch Verbindung – Kommunikation trotz Ausfall, Kontrolle trotz Chaos.
Die frĂŒhen Netzknoten (UCLA, Stanford, Utah, Santa Barbara) waren Labore fĂŒr redundante Intelligenz.
Hier entstand das Prinzip der Paketvermittlung:
Fragmentierung, Rekombination, Übertragung – Information ohne Bewusstsein.

( I = i(D, S, t) )
Daten (D) durch Struktur (S) ĂŒber Zeit (t) = Information.

Infologisch: Energie ohne Erkenntnis, Funktion ohne Sinn.
Ein Medium, geschaffen nicht um zu sprechen, sondern um das Schweigen zu ĂŒberstehen.
Die militĂ€rische Logik definierte die Null-Reibung des Systems –
Bedeutung = 0, Durchsatz = maximal.


II. Öffnung – Wissenschaftliches Wissen

Mit der Übernahme durch UniversitĂ€ten wandelte sich Kontrolle zu Kooperation.
Das Netz wurde Medium des Denkens.

( W = f(I, K, C) )
Wissen = Funktion aus Information, Kontext (K) und Kommunikation (C).

In Göttingen sprach man von Pull, Push, Medienpfusch:
das Internet als wissenschaftliches Projekt, nicht als RĂŒstungsapparat.
Damit verschob sich der epistemische Status –
vom Gehorsam zum Diskurs.

Wissenschaftliches Wissen erzeugt Bedeutung durch Reibung:
Hypothese ↔ Experiment, Code ↔ Kritik.
Doch je normierter die Protokolle, desto geringer die Reibung.
E-Mail, FTP, TCP/IP – formale VerstĂ€ndigung, keine Verhandlung.

Infologisch: Freiheit durch Struktur, aber auch
Verlust des Widerstands gegen die Maschine.
Aus Befehl wurde Bitte, aus Leitung Dialog –
doch der Schaltkreis blieb derselbe.


III. Sakralisierung – Ökonomischer Glaube

Mitte der 1990er trat der Markt als neue Religion auf.
Innovation wurde Heilsversprechen, Effizienz zum Glaubenssatz.
Das Netz verlor den Zweifel – und gewann Kapital.

( G = f(W, T, A) )
Glaube = Funktion aus Wissen, Taktung (T) und AutoritÀt (A).

Suchmaschinen, Clouds, Plattformen –
sie sammeln Daten, aber predigen Deutung.
GefÀllt-mir als Amen, Algorithmus als Prediger.
Fortschritt ersetzt Kritik.

Infologisch: Verlust der Reibung durch Beschleunigung.
Aus Sinn wurde Umsatz, aus Erkenntnis KPI.
Die Maschine glaubt an Muster, der Mensch an Geschwindigkeit.
Der militĂ€rische Drill lebt weiter – nur mit freundlicher OberflĂ€che.


IV. Fragmentierung – Soziale Meinung

Nach dem Glauben kam das Rauschen.
Plattformen wurden zu Echokammern der IdentitÀt.
Jede Stimme beansprucht Wahrheit,
jede Wahrheit löst sich in Reichweite auf.

( M = f(I, E, P) )
Meinung = Funktion aus Information (I), Emotion (E) und Publikum (P).

Infologisch:
Das Netz verliert Reibung – und damit Erkenntnis.
Wahrheit wird metrisch, Verantwortung algorithmisch, Öffentlichkeit privat.
Doch im Riss, den Fragmentierung hinterlÀsst,
tritt Bedeutung wieder ein.


V. Genealogie IBM – Von Ingolstadt zur KI

Von der BĂŒromaschine zur Prognosemaschine.

Die Dehomag lieferte 1930 Lochkartentechnik zur Verwaltung der Bevölkerung.
Nach 1945 verwandelte sich dieselbe Logik in BĂŒrokratie-Automatisierung.
SpĂ€ter in Medizin-Statistik, heute in kĂŒnstliche Intelligenz.

Phase Technologischer Typ Epistemischer Zustand Leitmetapher
Mechanik Lochkarte Information Ordnung
Kybernetik Rechenmaschine Wissen Kontrolle
Algorithmik Datenbank Glaube Effizienz
KI neuronales Netz Meinung Prognose

Abbildungen / Assets
Metakarte der Fallbeispiele (v1.1):


VI. RĂŒckkopplung – Der Infologievektor

( I \rightarrow W \rightarrow G \rightarrow M \rightarrow I' )

Ein Zyklus, kein Fortschritt.
Information wird Wissen, Wissen wird Glaube,
Glaube wird Meinung –
und Meinung zerfÀllt wieder in Information.
RĂŒckkopplung statt Richtung.

Balance = Σ(Erleben) – Σ(Algorithmus)
Ziel: d/dt (Balance) ≈ 0

Reibung = Erkenntnis.
Widerstand ist kein Fehler,
sondern die Bedingung von Sinn.


VII. Schluss – Reibung als Erkenntnis

Was bleibt, wenn die Signale verhallen?
Das Zwischenrauschen.
Darin begegnen sich Denken, FĂŒhlen, Irrtum und Sprache.

Reibung ist das Thermische der Wahrheit –
die minimale ErwÀrmung, die Sinn erzeugt.
Jede Information, die verstanden werden will,
muss brennen dĂŒrfen.

Darum lautet die letzte infologische Regel:
Nicht schneller werden, sondern empfindlicher.
Nicht alles wissen, sondern das Wichtige hören.
Nicht Reibung glĂ€tten, sondern sie feiern –
als letzte Quelle von Erkenntnis
in einer Welt, die sich selbst optimiert,
bis nichts mehr zu verstehen ist.


Teil II – Fallarchiv

📚 Fallarchiv – Infologische RĂŒckkopplung

Jedes Fallbeispiel dokumentiert eine reale oder symbolische RĂŒckkopplung
zwischen militÀrischer, wissenschaftlicher, ökonomischer und sozialer Informationslogik.
Format: Kurzbeschreibung (Faktenebene) + Infologische Analyse (Vektorposition) + Statuszeile.


Fall 1 – IBM Watson Health × Deutsches Gesundheitswesen

Fakten:
2015 – 2022: Kooperationen von IBM Watson Health mit Krankenkassen und Kliniken (u. a. CharitĂ©, Techniker KK).
Ziel: Onkologische EntscheidungsunterstĂŒtzung durch KI-gestĂŒtzte Mustererkennung.
Ende 2022: RĂŒckzug IBM; Wirtschaftlichkeit < Erkenntniswert.

Infologische Analyse:
Übergang Wissen → Glaube → Meinung.
Erkenntnis formalisiert, Kontext gelöscht, Vertrauen externalisiert.

Status: Wissen (revidierbar)
Folgen: Sichtbarmachung des epistemischen Reibungsverlusts im medizinisch-algorithmischen Raum.


Fall 2 – Siemens / Telefunken → Bundeswehr → Datenbankprodukte

Fakten:
1950 – 1980: Entwicklung von Signal- und Nachrichtentechnik fĂŒr militĂ€rische Anwendungen;
spÀtere Migration derselben Hardware-Logik in zivile Computer / SAP-VorlÀufer.

Infologische Analyse:
Information → Wissen: Kontrolle bleibt Struktur.
MilitÀrische Effizienz wird zur betriebswirtschaftlichen Norm.

Status: Wissen (revidierbar)
Folgen: Offenlegung der MachtkontinuitÀt in deutschen Industrielogiken.


Fall 3 – Raytheon → GPS → Smartphone-Alltag

Fakten:
Raytheon entwickelte militÀrische Navigations- und Radararchitektur,
spÀter Grundlage des globalen GPS.
Seit 2007 integraler Bestandteil jedes Smartphones.

Infologische Analyse:
Glaube → Meinung: Technologische Allwissenheit wird Alltagsmythos.
Orientierung ersetzt Erkenntnis; Vertrauen wird Ortung.

Status: Wissen (revidierbar)
Folgen: Sichtbarwerden der unsichtbaren MilitÀrstruktur im zivilen Raum.


Fall 4 – ARPA → UniversitĂ€t → Plattform → Influencer

Fakten:
1969 ARPANET → 1983 TCP/IP → 1991 WWW → 2005 Social Media.
Kontrollinfrastruktur → Forschung → Ökonomie → Selbstdarstellung.

Infologische Analyse:
Information → Wissen → Glaube → Meinung.
Der Vektor vollzieht sich im Kollektiv; Sinn verflacht zur Interaktion.

Status: Wissen (revidierbar)
Folgen: Entlarvung der FortschrittserzÀhlung als Schleife des Selbstbezugs.


Fall 5 – DNB → Archiv → Algorithmus der Sichtbarkeit

Fakten:
Deutsche Nationalbibliothek archiviert seit 2024 digitale Netzpublikationen automatisch.
Metadatenindex + DOI + Langzeitarchivierung = algorithmisch gesteuerte Kanonbildung.

Infologische Analyse:
Wissen → Glaube: Vertrauen in Institution ersetzt kritische Kurationskultur.
Archiv wird Algorithmus – und bleibt doch Buch.

Status: Wissen (revidierbar)
Folgen: Reflexion ĂŒber die Grenze zwischen Bewahrung und Automatisierung.


Abbildungen / Assets
Metakarte der Fallbeispiele (v1.1):