Nimmermehr!

Liebe, Beziehung und Dating – Ein akademisches Traktat

Aphorismus:
„Liebe und Beziehung verhalten sich zueinander, wie Glaube und Religion: Sie passen doch gar nicht zusammen.“


Abstract

Dieses Traktat untersucht die Spannung zwischen Liebe als individueller IntensitĂ€t und Beziehung als sozialer Form. Unter kritischer Einbeziehung der kulturellen Praxis des Datings – verstanden als algorithmisch fragmentiertes Paarungsexperiment – wird gezeigt, wie sich subjektive Leidenschaft in institutionelle Strukturen ĂŒbersetzt. Analog zum VerhĂ€ltnis von Glaube und Religion kollidieren AuthentizitĂ€t und Institution, was BrĂŒche, Komik und Tragik zugleich erzeugt.


Einleitung

Dating kann als ein Prozess beschrieben werden, in dem Menschen versuchen, probabilistisch passende Partner:innen zu finden. Dabei sind Faktoren wie AttraktivitÀt, Gemeinsamkeiten, Unterschiede, psychische KompatibilitÀt und geographische NÀhe entscheidend. Aus der Perspektive einer emotionslosen Maschine lÀsst sich Dating als stochastisches Experiment lesen, dessen Effizienz erstaunlich gering bleibt.

Die Brisanz liegt in der Transformation: Liebe als spontanes GefĂŒhl soll durch Dating in die Form einer Beziehung ĂŒberfĂŒhrt werden. Doch der aphoristisch benannte Gegensatz verdeutlicht: was als lebendige Erfahrung beginnt, verkommt zur institutionellen Erwartung.


Theoriehorizont

1. Soziologische Perspektive

Niklas Luhmann (1982) interpretiert Liebe als Kommunikationsmedium, das Erwartungsunsicherheit reduziert. Dating-Plattformen ĂŒbersetzen dieses Medium in algorithmische Auswahlkriterien – AttraktivitĂ€tspunkte, Matching-Scores. Doch sobald Liebe in Beziehung ĂŒberfĂŒhrt wird, entsteht ein struktureller Zwang: die Institution Beziehung verlangt StabilitĂ€t, wĂ€hrend die Dynamik des Begehrens volatil bleibt.

2. Philosophische Perspektive

Kierkegaards Differenz zwischen individuellem Glaubenssprung und kirchlicher Dogmatik (1843/1992) illustriert die Analogie: Liebe ist ein existenzielles Wagnis, Beziehung die sakrale Verwaltung dieses Wagnisses. Dating wird dabei zur modernen Liturgie: Profile, Rituale der Selbstdarstellung, das immer gleiche Mantra „vielleicht wird es diesmal anders“.

3. Psychologische Perspektive

Bindungstheorien (Bowlby, 1969) unterstreichen den Wunsch nach Sicherheit. Doch empirische Beobachtung (siehe unsere vorangehenden Einlassungen) zeigt: Menschen wiederholen Fehler in Serie. Sie ĂŒberfitten auf frĂŒhere Traumata, generalisieren aus wenigen Erfahrungen ganze Geschlechter, und reproduzieren Muster, die sie lĂ€ngst durchschaut haben. Dating ist somit ein iteratives Lernverfahren mit hoher Fehlerrate und geringer Lernkurve.


Diskussion

Die Ironie: Menschen sind nicht „blöd“, weil sie Fehler machen, sondern weil sie ihre Fehler romantisieren. Sie wissen, dass die Herdplatte heiß ist, und halten trotzdem ihre Hand darĂŒber – um „wirklich“ zu fĂŒhlen. Dating verstĂ€rkt diese Struktur: die Hoffnung, die Playlist, das Lachen beim ersten Treffen.

Die Analogie Liebe–Beziehung ↔ Glaube–Religion wird hier empirisch greifbar:


Fazit

Dating demonstriert die Tragikomik der menschlichen Selbstsabotage: ein ineffizienter, aber hoffnungsvoller Versuch, Liebe in die Form der Beziehung zu ĂŒberfĂŒhren. Wie Glaube und Religion bleiben Liebe und Beziehung unvereinbar – verbunden nur durch den paradoxen Drang, das Unvereinbare immer wieder zu versuchen.


Literatur (APA 7th)


DOI

https://doi.org/10.5555/dzvkl.dating.2025


KIQ-Siegel

KIQ-Siegel v1.0 KIQ = 7.2 Mensch/(Maschine+Last) × 100