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Die (Un-)Möglichkeit der Überwachung dyadischer Kommunikation

Eine geisteswissenschaftliche ErgÀnzung zum Policy Brief

Dyadische Kommunikation — der eins-zu-eins-Dialog — ist weit mehr als der bloße Austausch von Informationen. Sie ist eine existenzielle Praxis, in der Bedeutung gemeinsam hervorgebracht wird. In einer Zeit, in der Client-Side-Scanning und andere Formen digitaler Überwachung vorgeschlagen oder bereits implementiert werden, stellt sich die Frage: Lassen sich solche technischen Verfahren mit der ontologischen Tiefe von Dialog vereinbaren? Diese ErgĂ€nzung diskutiert zentrale geisteswissenschaftliche EinwĂ€nde und zieht daraus konkrete Empfehlungen fĂŒr die Politik. :contentReference[oaicite:0]{index=0}

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Kurzfassung

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1. Dialogphilosophische Paradoxie: Sprache als Ko-Konstruktion

Philosophen wie Martin Buber und Habermas betonen, dass Bedeutung im Zwischenraum entsteht — im performativen Akt des gemeinsamen Verstehens. Technische Überwachung greift genau hier fehl: Scanner und Algorithmen erfassen Zeichenketten, nicht die IntersubjektivitĂ€t, in der etwas verstanden, bestĂ€tigt oder verĂ€ndert wird. Wer Kommunikation nur als Datenstrom liest, ĂŒbersieht, wie sehr Dialog erst durch das wechselseitige Agieren der Beteiligten zu Bedeutung wird.

„Das Zwischenmenschliche ist nicht in den Individuen ... sondern dazwischen.“ — (in Anlehnung an Buber)

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2. Foucaults Panoptismus reloaded: Digitale Sichtbarkeit als Machttechnik

Client-Side-Scanning und Ă€hnliche Technologien schaffen ein digitales Panoptikum. Bereits die Möglichkeit, dass jeder Satz kontrolliert werden könnte, prĂ€gt das Verhalten: Sprecher antizipieren Beobachtung, passen sich an oder ziehen sich zurĂŒck. Foucaults Analyse der Macht wirkt in diesem Kontext hochaktuell: Überwachung ist nicht neutral — sie formt SubjektivitĂ€t, Sprache und HandlungsrĂ€ume.

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3. Arendts Warnung vor Weltlosigkeit: Privatheit als Bedingung politischen Handelns

Hannah Arendt hebt die Bedeutung des Privaten als geschĂŒtzten Bereich hervor. Wenn Privatheit systematisch aufgebrochen wird, verliert die menschliche Praxis ihres Schutzraums — spontane Handlungen, intime Vertrauensakte und die Entfaltung persönlicher IdentitĂ€t werden zu prozessualen, kontrollierbaren Daten. Das hat Folgen nicht nur fĂŒr die individuelle Autonomie, sondern fĂŒr die FĂ€higkeit, in Gemeinschaften politisch zu handeln.

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4. Ethics of Vulnerability: Verletzlichkeit als Möglichkeitsbedingung fĂŒr ResponsivitĂ€t

Judith Butler und andere Vertreterinnen der VulnerabilitĂ€tsethik zeigen, dass Verletzlichkeit keine SchwĂ€che, sondern die Voraussetzung ethischer ResponsivitĂ€t ist. Überwachung verwandelt Verletzlichkeit in einen Grund fĂŒr prĂ€ventive Verdachtsmomente — vor allem gefĂ€hrdet dies Schutzbefohlene wie Kinder, die in ĂŒberwachten RĂ€umen nicht die erforderliche Freiheit finden, eigene Stimmen zu entwickeln.

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Politische Implikationen

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Konkrete Empfehlung — Rechtlicher Schutz dialogischer SphĂ€ren

Es wird vorgeschlagen, dyadische digitale Kommunikation als eigenstĂ€ndiges Rechtsgut zu verankern — Ă€hnlich dem Briefgeheimnis oder besonderen Schutzformen wie Seelsorgegeheimnissen. Praktisch könnte das bedeuten:

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Fazit

Dialog ist keine neutral verwaltbare Ressource, sondern ein ontologisch eigenstĂ€ndiger Raum menschlicher Ko-Konstruktion. Überwachungstechnologien, die diesen Raum instrumentalisieren, bedrohen nicht nur individuelle PrivatsphĂ€ren, sondern die Grundlagen sozialer VerstĂ€ndigung und politischer Handlung. Politik muss diesem Befund Rechnung tragen und dialogische SphĂ€ren explizit schĂŒtzen — nicht nur aus datenschutzrechtlicher, sondern aus demokratie- und menschenrechtlicher Perspektive.

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WeiterfĂŒhrende Literatur (Auswahl)

Die obigen Punkte basieren auf der geisteswissenschaftlichen ErgĂ€nzung zum Policy Brief "Die (Un-)Möglichkeit der Überwachung dyadischer Kommunikation". :contentReference[oaicite:1]{index=1}