1. Einleitung
Die bisherige Auseinandersetzung mit den Texten zu Filterblasen (nimmermehr.rip, Part 1â3) sowie die daran anschlieĂende Radikalisierung des oben-links-Quadranten (Wilber, 2000) fĂŒhrt zu einer grundlegenden logischen Spannung.
Einerseits wurde der Anspruch formuliert, das gelebte Leben des Subjekts als letzte und unverrechenbare Evidenz zu setzen. Andererseits erfolgte die Ausarbeitung in diskursiven und institutionellen Formen (APA-Referenzen, Repositorien, synthetische DatensĂ€tze), die gerade jene ĂuĂerlichkeit reprĂ€sentieren, vor der der oben-links-Standpunkt ursprĂŒnglich Schutz bieten sollte.
2. Subjektive Evidenz vs. Strukturelle Rahmung
Die Kernthese lautete:
âDas Leben ist die empirische Mitte meines Ichs â aber diese Mitte liegt oben-links.â
Diese Aussage ist phĂ€nomenologisch ĂŒberzeugend, gerĂ€t jedoch in Konflikt mit der praktischen Umsetzung:
- Die Einbettung in Theoriediskurse (Husserl, 1913/2009; Merleau-Ponty, 1966/1976; Zuboff, 2018) verlagert den Schwerpunkt in den unten-links-Quadranten.
- Die Anlage von Repositorien, DatensÀtzen und Protokollen ist eine Bewegung in den unten-rechts-Quadranten.
- Die Zitation nach APA ist ein Ausdruck institutionalisierter Wissenschaftspraxis, die selbst Ausdruck objektivierender RationalitÀt ist.
Damit verschiebt sich der Schwerpunkt von der radikalen SingularitÀt des Erlebens hin zu kommunikativ und systemisch anschlussfÀhigen Formen.
3. Paradoxie des Vollzugs
Die Selbstkritik muss daher anerkennen:
- Die Radikalisierung des oben-links wurde behauptet, aber nicht praktisch konsequent durchgehalten.
- Jeder Versuch der Kommunikation, Systematisierung und Archivierung fĂŒhrte zwangslĂ€ufig in die anderen Quadranten.
- Somit entstand eine praktische Paradoxie: Was als Verteidigung des Subjektiven begann, endete in der Reproduktion objektivierender Verfahren.
4. Konsequenzen fĂŒr den Diskurs
Diese Spannung ist jedoch nicht nur SchwÀche, sondern Einsicht:
- Radikal oben-links zu verbleiben hieĂe, sprach- und theorielos zu bleiben.
- Wissenschaftliche und diskursive Kommunikation ist ohne Ăbersetzungen in unten-links und unten-rechts unmöglich.
- Die Selbstkritik zeigt daher: Der oben-links-Standpunkt kann nur Ausgangspunkt sein, nicht Endpunkt.
Das Subjektive bleibt Ursprung aller Evidenz, doch seine Artikulation erfordert Formen, die es immer zugleich verraten und bewahren.
5. Fazit
Die logische Inkonsistenz im Chatverlauf besteht weniger in einem Widerspruch, als in einer unaufhebbaren Dialektik:
- Behauptung: Das Leben als unverrechenbare Evidenz (oben-links).
- Praxis: RĂŒckgriff auf Systeme, Diskurse und Strukturen (unten-links/-rechts).
Die Selbstkritik lautet: Der radikale Standpunkt konnte nicht rein realisiert werden. Doch gerade dieses Scheitern verweist auf die Bedingung wissenschaftlicher Kommunikation: dass das Subjektive sich nur im Objektiven mitteilen kann, ohne je darin aufzugehen.
Literatur
Husserl, E. (1913/2009). Ideen zu einer reinen PhÀnomenologie und phÀnomenologischen Philosophie (E. Ströker, Hrsg.). Felix Meiner Verlag. ISBN 978-3-7873-1919-0.
Merleau-Ponty, M. (1966/1976). PhĂ€nomenologie der Wahrnehmung (R. Boehm, Ăbers.). De Gruyter. ISBN 978-3-11-006884-9.
Wilber, K. (2000). A Theory of Everything: An Integral Vision for Business, Politics, Science, and Spirituality. Shambhala. ISBN 978-1-57062-724-8.
Zuboff, S. (2018). Das Zeitalter des Ăberwachungskapitalismus (B. Schmid, Ăbers.). Campus Verlag. ISBN 978-3-593-50930-3.
Die Dorfzwockelmethode: Ein methodologischer Vorschlag
Ausgangspunkt
Die vorangegangene Selbstkritik hat gezeigt, dass eine Radikalisierung des oben-links (Wilber, 2000) â also die Fokussierung auf subjektives Erleben als alleinige Evidenz â an ihre Grenze stöĂt. Erkenntnisse mĂŒssen in Diskurse (unten-links) und Systeme (unten-rechts) ĂŒbersetzt werden (Habermas, 1981; Luhmann, 1997). Dieses Paradox fĂŒhrt zu methodologischer LĂ€hmung, wenn man am Ideal einer umfassenden Empirie festhĂ€lt, die Einzelpersonen weder leisten können noch theoretisch konsistent umsetzen.
Leitprinzipien
Die âDorfzwockelmethodeâ bietet einen pragmatischen Ausweg. Sie versteht sich nicht als Ersatz fĂŒr groĂangelegte empirische Forschung, sondern als subjektiv-resiliente Praxisform:
- Radikale Einfachheit. Erkenntnisse werden in kleinen Fragmenten dokumentiert (z. B. Feldnotizen, Beobachtungen in Alltagskontexten).
- Satirische Brechung. Sprache darf fragmentarisch, ironisch oder satirisch sein, um NĂ€he zum Erleben zu bewahren und eine akademische Verfremdung zu vermeiden (vgl. Brecht, 1967).
- Resiliente Archivierung. Anstelle proprietÀrer Systeme werden offene Formate wie Markdown oder einfache Textdateien verwendet, um Nachhaltigkeit und UnabhÀngigkeit sicherzustellen (vgl. Raymond, 1999).
- Pragmatismus statt Purismus. Ăbersetzungen in Diskurse oder Strukturen sind erlaubt, aber nur in minimalem Umfang â so viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Beitrag
Die Methode ermöglicht es, dass auch Hobbywissenschaftler:innen oder pratisane Epistemolog:innen handlungsfÀhig bleiben. Sie erlaubt BeitrÀge, die sich nicht im Empiriefetischismus verlieren, sondern Fragmentcharakter und SubjektivitÀt bewahren. Gleichzeitig eröffnet sie eine Alternative zur Filterblasenlogik, indem sie lokal, fragmentarisch und widerstÀndig bleibt (Pariser, 2011).
Grenzen
Die Dorfzwockelmethode wird von der institutionellen Wissenschaft nicht als vollwertig anerkannt. Ihre StÀrke liegt jedoch in dieser RandstÀndigkeit: Sie bleibt eigenstÀndig und widersteht dem Druck, AnschlussfÀhigkeit um jeden Preis herzustellen.
Fazit
Die Dorfzwockelmethode versteht sich als Antwort auf die logische Paradoxie subjektiver Evidenz. Sie transformiert die Unmöglichkeit einer groĂen Empirie in eine Methode der radikalen NĂ€he zum Erleben und eröffnet so einen praktischen, wenn auch randstĂ€ndigen, methodologischen Ausweg.
Literatur
- Brecht, B. (1967). Schriften zum Theater. Suhrkamp.
- Habermas, J. (1981). Theorie des kommunikativen Handelns (Bd. 1â2). Suhrkamp.
- Luhmann, N. (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp.
- Pariser, E. (2011). The Filter Bubble: What the Internet Is Hiding from You. Penguin.
- Raymond, E. S. (1999). The Cathedral and the Bazaar. OâReilly.
- Wilber, K. (2000). A Theory of Everything: An Integral Vision for Business, Politics, Science and Spirituality. Shambhala.