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Anpassung als Ideologie? Eine ideengeschichtliche Analyse des Aphorismus:

„Ist es nicht, wie du willst, musst du es eben wollen, wie es ist“

(Pfarrer Braun, "Die GĂ€rten des Rabiners", Schlusszene)

Einleitung

Der Aphorismus „Ist es nicht, wie du willst, musst du es eben wollen, wie es ist“ scheint zunĂ€chst als resignative Alltagsweisheit aufzutreten. Doch seine Aussage birgt tiefere gesellschaftspolitische Implikationen: Er fordert zur aktiven Akkommodation an das Bestehende auf – nicht aus Einsicht in die Notwendigkeit, sondern aus dem vermeintlichen Fehlen von Alternativen. Dies macht ihn zum interessanten Objekt ideologiekritischer Analyse.

In diesem Beitrag wird der Satz aus drei Perspektiven untersucht: aus der konservativen politischen Philosophie, aus dem konstruktivistischen Erkenntnistheoretikerblick und unter dem Blickwinkel wirtschaftsfaschistischer Machttechniken. Besonders berĂŒcksichtigt werden aktuelle politische Kontexte, etwa autoritĂ€re Tendenzen in Russland, populistischer Konservativismus in den USA sowie die technokratisch gesteuerte Marktlogik in China.

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Konservativismus: Die normative Kraft des Bestehenden

Innerhalb konservativer Weltanschauung – insbesondere im Anschluss an Michael Oakeshott (1962) – gilt das Bestehende als Resultat historischer Erfahrung und organischer Entwicklung. Der Aphorismus funktioniert hier als ethische Leitlinie: Wenn die Welt nicht dem eigenen Wollen entspricht, so liegt der Fehler nicht in der Welt, sondern im Willen.

Diese Haltung zeigt sich etwa in der US-amerikanischen Rechten unter Donald Trump. Dessen Slogan Make America Great Again enthĂ€lt eine klare konservative RĂŒckwendung: Nicht VerĂ€nderung, sondern RĂŒckanpassung an eine als „natĂŒrlich“ gesetzte Ordnung. Die Ablehnung progressiver Werte – etwa hinsichtlich Klimapolitik, Genderfragen oder Migration – basiert auf einer idealisierten Vergangenheit, die als Maßstab der Gegenwart dient (Levitsky & Ziblatt, 2018).

Der Aphorismus formuliert in diesem Licht eine Art konservatives Selbstdisziplinierungsgebot: Wer sich nicht in die gegebene Ordnung fĂŒgt, verfehlt den gesellschaftlichen Konsens und wird als „woke“, „elitĂ€r“ oder „anti-patriotisch“ gebrandmarkt. Die Anpassung an das, „wie es ist“, wird zur Bedingung politischer Zugehörigkeit.

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Konstruktivismus: Wirklichkeit als kognitive Anpassung

In der konstruktivistischen Epistemologie – prominent vertreten durch Ernst von Glasersfeld (1997) und Niklas Luhmann (1984) – ist Wirklichkeit nicht objektiv gegeben, sondern Resultat subjektiver und systemischer Konstruktionsprozesse. Der Aphorismus erscheint hier nicht als normativer Imperativ, sondern als Anpassung der kognitiven Landkarte an das Unerreichbare.

Ein aktuelles Beispiel bietet die Pandemiepolitik der westlichen Demokratien. Angesichts widersprĂŒchlicher Informationen und wissenschaftlicher Ungewissheiten waren viele BĂŒrger*innen gezwungen, ihren Willen an widersprĂŒchliche „RealitĂ€ten“ (z. B. Lockdowns, ImpfprioritĂ€ten, Reiseverbote) anzupassen. Die KritikfĂ€higkeit blieb erhalten, doch sie wurde innerhalb des Systems kanalisiert, nicht als revolutionĂ€re Infragestellung.

Hier zeigt sich der Aphorismus als Strategie der KomplexitĂ€tsbewĂ€ltigung: Er fordert dazu auf, den eigenen Willen im Lichte systemischer Grenzen neu zu justieren, ohne Anspruch auf externe Wahrheit. Diese Logik prĂ€gt auch den politischen Diskurs in der EuropĂ€ischen Union, wo technokratische ZwĂ€nge (z. B. Fiskalpakt, Binnenmarktregeln) kaum Raum fĂŒr politische Utopien lassen (Habermas, 2013).

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Wirtschaftsfaschismus: Die erzwungene Affirmation

Anders gelagert ist der Fall im Kontext autoritĂ€rer Systeme mit marktförmiger Organisation – etwa in der Volksrepublik China. Dort zeigt sich ein neokorporatistisches Modell, in dem politische LoyalitĂ€t, wirtschaftliche Teilnahme und soziale Kontrolle systematisch verschrĂ€nkt sind (Creemers, 2018).

Der Aphorismus fungiert hier als verdeckter Machtbefehl: Was ist, muss gewollt werden – nicht weil es ĂŒberzeugt, sondern weil Abweichung bestraft wird. Die staatliche Überwachung durch das Social Credit System, die gezielte Steuerung von Konsum und Meinung durch digitale Plattformen und die politisch-ökonomische Vereinnahmung der Unternehmen zeigen, wie das Wollen systematisch umgeformt wird (Zuboff, 2019).

Auch in Russland unter Wladimir Putin findet sich eine Variante dieser Haltung: Der propagandistische Apparat prĂ€sentiert die gegenwĂ€rtige RealitĂ€t – etwa den Angriffskrieg gegen die Ukraine – als notwendige historische Mission. Kritik wird zur „IlloyalitĂ€t“, Dissens zur „auslĂ€ndischen Einflussnahme“. Hier ist der Aphorismus zur Herrschaftstechnologie geworden, zur psychopolitischen Norm: Wolle, was der Staat dir zeigt, oder verliere dein Existenzrecht (LukĂĄcs, 2022).

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Fazit: Zwischen Weisheit und Unterwerfung

Der Aphorismus „Ist es nicht, wie du willst, musst du es eben wollen, wie es ist“ entpuppt sich als polyvalente Formel, die je nach ideologischer Rahmung zwischen Lebensweisheit, erkenntnistheoretischem Pragmatismus und autoritĂ€rer Zumutung oszilliert. In konservativen Kontexten dient er als sittliches Anpassungsgebot; im konstruktivistischen Denken als kognitive Strategie; im wirtschaftsautoritĂ€ren Modell als Mittel der Unterwerfung.

Die entscheidende Frage bleibt dabei: Wer Ă€ndert wen? Wird der Wille aus Einsicht neu kalibriert – oder durch systemische Gewalt diszipliniert? Der Aphorismus verweist damit auf ein zentrales SpannungsverhĂ€ltnis moderner Politik: Zwischen Gestaltung und Akzeptanz, zwischen Subjekt und System.

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Literaturverzeichnis (APA 7)

Creemers, R. (2018). China’s Social Credit System: An Evolving Practice of Control. SSRN. https://ssrn.com/abstract=3175792

Glasersfeld, E. von. (1997). Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme. Suhrkamp.

Habermas, J. (2013). Im Sog der Technokratie: Kleine politische Schriften XII. Suhrkamp.

Levitsky, S., & Ziblatt, D. (2018). How Democracies Die. Crown Publishing.

Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp.

Lukács, J. (2022). Putin’s Russia and the Falsification of History. Foreign Affairs, 101(2), 56–67.

Oakeshott, M. (1962). Rationalism in Politics and Other Essays. Methuen.

Zuboff, S. (2019). The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power. PublicAffairs.